Interview mit Schriftsteller Kai Wieland

Kai Wieland credit Marijan Murat

Im Interview mit Sounds & Books äußert sich der Autor Kai Wieland u.a. zu seinem neuen Roman „Zeit der Wildschweine“

Mit seinem von Sounds & Books besprochenen Debütroman „Amerika“ stand der in Stuttgart lebende Kai Wieland 2017 im Finale des Blogbuster-Wettbewerbs und wurde mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet. Sein ebenfalls bei uns rezensierter Nachfolger „Zeit der Wildschweine“ erschien Ende Juli 2020 bei Klett-Cotta. Der 1989 in Backnang geborene Kai Wieland, der uns an dieser Stelle seine zehn Lieblingsalben verriet, stellt sich im Interview den Fragen zum neuen Roman. Viele vergnügen mit unserem

Interview mit Kai Wieland

Kai, bereits zwei Jahre nach „Amerika“ ist Dein zweiter Roman „Zeit der Wildschweine“ erschienen. Was hat sich in der kurzen Zeit für Dich verändert?

Mein Alltag ist im Wesentlichen derselbe wie davor, abgesehen von gelegentlichen Lesungen, vereinzelten Interviews und sonstigen Literaturveranstaltungen sowie der Tatsache, dass ich wesentlich öfter meinen eigenen Namen google. Darüber hinaus bin ich in den vergangenen beiden Jahren in ein ganz neues Netzwerk hineingewachsen, bestehend aus Verlags- und Büchermenschen, anderen Autorinnen und Autoren sowie der Bloggerszene. Natürlich wissen mittlerweile auch in meinem privaten Umfeld die Meisten über mein Schreiben Bescheid und erkundigen sich hin und wieder danach, aber der Zugang zu dieser (wundervollen!) literarischen Parallelwelt ist sicherlich die spürbarste Auswirkung auf mein Leben.

Mit dem Manuskript zu „Zeit der Wildschweine“ warst Du 2019 für den Alfred-Döblin-Preis nominiert. Welche Erfahrungen hast Du an dem Wochenende im Literarischen Colloquium Berlin, an dem alle sechs Finalisten Auszüge lasen, gesammelt?

Das war ein grandioses Wochenende am Wannsee. Mit Iris Wolff, die ich schon länger kenne und schätze, und Isabella Straub waren zwei weitere Copywrite-Autorinnen (Copywrite ist der Name meiner Literaturagentur) im Finale vertreten, du und Tobias Nazemi saßen in der Publikums-Jury, ich wurde von meiner Lektorin begleitet und überhaupt war es ein kleines Branchenfamilientreffen bei strahlendem Sonnenschein. Der Wettbewerb selbst war natürlich aufregend. Ich bin wirklich froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, glaube aber nicht, dass ich eine solche Plattform – also ein „Wettlesen“ – noch einmal suchen würde. Der Tenor des Feedbacks war zwar positiv, aber für dieses Streiten über Literatur auf einer Bühne fehlen mir letztlich die Zanklust und die Schlagfertigkeit.

Der Hauptprotagonist und Reisejournalist Leon sucht seinen Platz im Leben und pendelt zwischen seiner dörflichen Heimat im Schwabenland und der weiten Welt. Wie definierst Du für Dich den Heimatbegriff?

Ich bin selbst im Schwabenland fest verwurzelt, habe hier meine Familie und Freunde um mich und fühle mich seit jeher sehr wohl. „Heimat“ beschreibt für mich aber weniger den konkreten Ort, sondern gerade dieses dichte Geflecht aus Menschen, Erinnerungen und Gefühlen, welches mir Sicherheit und Ruhe gibt, wann immer ich hier bin. Ich verstehe völlig, dass viele diesem Begriff mit Misstrauen begegnen, er wurde und wird leider regelmäßig als kultureller Kampfbegriff und zur Abgrenzung missbraucht. Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder irgendeine Programmatik halte ich dennoch an meinem persönlichen positiven Heimatbegriff fest, weil ich kein treffenderes Wort für dieses oben beschriebene Gefühl der Geborgenheit kenne.

Im Roman wimmelt es von cineastischen Anspielungen. Besonders der Film „Fight Club“ spielt eine entscheidende Rolle und diente offensichtlich als Inspirationsquelle. Gehört die Verfilmung des Chuck-Palahniuk-Romans zu Deinen Lieblingsfilmen? Und falls ja, was fasziniert Dich an dem Film so sehr?

„Fight Club“ war einer meiner ersten Lieblingsfilme, er machte aus einer ganzen Reihe von Gründen einen starken Eindruck auf mich. Natürlich waren da einerseits diese charismatische Tyler-Durden-Figur, die ungewöhnliche Erzählweise, eine eigentümlich düstere Atmosphäre und ein legendärer Plot Twist, aber vor allem faszinierte mich das Spiel mit der Metaebene und mit dem Medium Film, etwa durch versteckte Frames oder einen Warnhinweis von Tyler Durden nach Einlegen der DVD. Außerdem ist es ein sagenhaft zitierbarer (und tättowierbarer) Film voller pathetischer One-liner. Heute – nach unzähligen Sichtungen – ist der Zauber von manchem davon ein wenig verflogen, aber ich halte es noch immer für einen sehr guten und zweifellos einflussreichen Film.  

An einer Stelle schreibst Du von einem „medial geprägten Impuls“. Welchen genau meinst Du und wie haben sich solche Impulse seit der Erfindung der sogenannten „Sozialen Medien“ möglicherweise verändert?

Wenn ich mich richtig erinnere, geht es in der betreffenden Passage um das vage Bedürfnis, in einem Moment der Stille die Hand auf jene des Gegenübers zu legen – das ist aber nur ein Beispiel, derartige Impulse können vielfältig sein. Als Kind war ich etwa davon überzeugt, auf Beerdigungen trüge man grundsätzlich eine schwarze Sonnenbrille – bis ich zum ersten Mal bei einem Begräbnis war. Ich glaube, die Art und Weise, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren, ist oftmals viel stärker durch unsere mediale Prägung beeinflusst, als uns selbst klar ist, und dabei spreche ich nicht von gezielter Nachahmung, sondern davon, dass ein bestimmtes Verhaltensmuster unbewusst übernommen und als angemessen empfunden wird. Ich schätze, ähnliche Mechanismen finden auch über die „Sozialen Medien“ statt, vielleicht sogar noch subtiler, weil dort vermeintlich tatsächlich das reale Leben gespiegelt wird. Ich habe dazu aber bislang keine konkreten Beobachtungen gemacht, das ist also eher Spekulation.

Eine Nebenfigur kann man als einen relativ fanatischen und rechthaberischen Buchhändler bezeichnen. Kennst Du solche Menschen persönlich und welchen Einfluss haben sie auf den Roman?

Monsieur Le Roux hat kein reales Vorbild, aber die Kunst- und Kulturbranche steckt ja voller Menschen, die bestimmte Strömungen, Gattungen oder Künstler vergöttern und anderen am liebsten gleich das Existenzrecht absprechen würden. Solange dabei gewisse Grenzen nicht überschritten werden, finde ich das aber überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil: An den Hardlinern entzünden sich ja oft die spannendsten Debatten. Außerdem bin ich bisweilen auch selbst vollkommen fassungslos angesichts des Erfolgs bestimmter Titel und würde die Menschen dann am liebsten packen und schütteln – ach, so ein bisschen Fanatismus steht dem geneigten Leser doch eigentlich ganz gut.

Im Zusammenhang mit dem Buchhändler ist die Rede von einer „Schnittstelle Mensch-Buch“. Wie sieht diese konkret für Dich aus?

Dahinter steht die von mir gehegte Vorstellung, dass es für jeden Menschen mindestens ein Buch gibt, das ihn oder sie begeistert und im besten Falle für den Rest des Lebens zum Leser macht. Als Buchhändler wäre die Gabe, die individuelle Schnittstelle des jeweiligen Gegenübers zu erkennen, natürlich Gold wert. In meinem Leben jedenfalls gab es einige Bücher – und so gesehen auch einige Buchhändler – die meinen Blick auf die Welt, eigentlich sogar meine gesamte Wahrnehmung sowohl nach innen als auch nach außen dauerhaft geprägt haben. Das empfinde ich als großen Gewinn, und ich wünsche diese Begeisterung für Bücher im Grunde jedem.

Leon muss zu Beginn eine Videokassette schauen und erwähnt später den guten alten Röhrenfernseher. Nostalgie, oder auch ein Stück Sehnsucht?

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich – Filmfan hin oder her – dem jeweiligen Gerät vor mir nie viel Aufmerksamkeit geschenkt habe. Ich bin mit der Röhre aufgewachsen, habe Tage mit meiner Nintendo 64 vor ihr verbracht, und ich würde wohl auch heute noch mit ihr zurechtkommen … andererseits kann ich nicht behaupten, dass mir ohne sie etwas fehlen würde. Tatsächlich besitze ich überhaupt keinen Fernseher mehr und schaue Filme stattdessen auf dem Laptop.

Im Verlauf der Handlung kommt Leon auf seiner Reise in Nordfrankreich sein Handy abhanden, für ihn eine ziemliche Katastrophe. Welchen Raum nimmt das Smartphone in Deinem Leben ein? Könntest Du Dir ein Leben ohne noch vorstellen?

Nein, ich fürchte, ich stecke schon zu tief drin. Zwar bin ich sicherlich kein „Heavy User“ und versuche, meine Zeit in den sozialen Netzwerken zu beschränken (wobei es als Autor ja auch ein Stück weit zum Job gehört), aber an WhatsApp, die Kartennavigation und die Möglichkeit, jederzeit offene Fragen einfach googeln zu können, habe ich mich doch sehr gewöhnt und würde nur ungern auf sie verzichten.

Erwähnt wird an einer Stelle das Southside-Festival. Hast Du dieses schon mal besucht? Wie war das  Wetter und welche Bands hast Du Dir angeschaut?

Tatsächlich war ich schon dreimal dort. Die Frage nach dem Wetter ist, wie ja im Roman auch angedeutet, natürlich sehr berechtigt. Zweimal dominierten Regen und Schlamm, beim dritten Anlauf hatten wir mehr Glück und erwischten ein hochsommerliches Wochenende, unterbrochen allerdings von einem heftigen Gewitter am Samstagabend. Bands habe ich dabei unzählige gesehen, besonders in Erinnerung geblieben sind mir The Prodigy (meine Digicam liegt vermutlich noch immer vor der Blue Stage im Matsch), Jimmy Eat World, Augustines und White Lies.

Sind Surfer tatsächlich erleuchtet?

Ich schätze, nicht mehr und nicht weniger als wir Nichtsurfer – aber sie verbringen mehr Zeit am Meer, und das ist ja auch schon etwas.

Sounds & Books bedankt sich bei Kai Wieland für die Beantwortung der Fragen!

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(Beitragsbild: Kai Wieland von Marijan Murat)

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